Vom 27.10. an sind wir, mit vielen Zwischenstopps, ganz gemütlich in Richtung Schottland gefahren, um am 31.10. in Glasgow anzukommen. Die Hinfahrt war also verhältnismäßig „entspannt“, während wir den Rückweg in zwei Tagen (mit einer Übernachtung nach Eurotunnel-Fahrt in Gravelines) runtergeschrubbt haben. Ziel dieser Veranstaltung: Anlässlich der Weltklimakonferenz (COP26) in Glasgow zu demonstrieren, dass Elektroautos schon heute alltagstauglich und vor allem langstreckentauglich sind. Denn auf Klimakonferenzen wird gerne über Technologien gesprochen, die irgendwann noch kommen, die würden das Weltklima dann schon retten, aber auf die müsse man halt noch ein paar Jahre warten und bis dahin bleibt alles so, wie es ist.
Dass es mit Batterie-Elektroautos schon heute eine Technologie gibt, mit der man eine massive Reduzierung des CO2-Ausstoßes im Verkehrssektor erreichen könnte, fällt dabei oft unter den Tisch, deswegen fanden wir (20 Elektrofahrer aus unterschiedlichsten europäischen Ländern) es notwendig, mit diesem Roadtrip ein Zeichen zu setzen.
Die Tour war, bis auf einen Kia e-Niro, de facto eine „Tesla only“ Veranstaltung. Dass wir mit einem ID.3 wirklich völlig problemlos mit unserem Konvoi mithalten konnten (und teilweise sogar schneller waren, weil Felix eine bessere Ladestrategie als die Tesla-Navis hatte), ist für mich ein klares Indiz: Tesla hat nicht mehr das Monopol auf langstreckentaugliche Elektroautos, wie das noch vor wenigen Jahren der Fall war. Volkswagen hat massiv aufgeholt und mit dem ID.3 (bzw. dem MEB generell) alles richtig gemacht, um fit für die elektrische Zukunft zu sein.
Wir haben für 6 Tage praktisch in diesem Auto gelebt, bis zu 14 Stunden sind wir pro Tag gefahren. Ich war zu Beginn tatsächlich skeptisch, als Felix spontan noch mit an Bord kam, ob drei Leute nicht doch einer zu viel sind, übermäßig groß ist der ID.3 ja nicht. Aber der Werbeclaim: „Abmessungen eines Golfs, Platz wie ein Passat“ stimmt wirklich: Hinter dem Fahrer hat ein Passagier noch so komfortabel Platz, dass er vom Laptop aus arbeiten kann. Der Platz hinten rechts bleibt dann frei und der Beifahrer kann seinen Massagesitz so zurücklehnen, dass nach einem Powernap fit für den nächsten Streckenabschnitt ist.
Dank des britischen Tempolimits von 70 mph (=113 km/h) war die Reichweite ein Traum: Mit einem Praxisverbrauch von 19,3 kWh/ 100 km genügen die 77 nutzbaren kWh des Akkus für über 400 Kilometer. Tatsächlich mussten wir öfter für menschliche Bedürfnisse pausieren, als für echte Ladestopps.
Zur Einordnung der Daten: Mit 3 ausgewachsenen Männern und einem vollen Kofferraum war sehr viel Gewicht an Bord, das typisch britische Wetter schickte tagelang eimerweise Wasser (unsere Freunde von der EV Alliance Scotland verwenden dafür den Begriff „Liquid Sunshine“) und warm war es auch nicht wirklich. Bis auf einen 300 km Abschnitt in Frankreich, wo wir ausnahmsweise zweistellige Temperaturen sahen, bewegten wir uns auf der restlichen Tour zwischen 0 und 10 °C Außentemperatur. Ergo: Das waren gewiss keine optimalen Bedingungen für eine gute Reichweite und trotzdem waren über 400 km am Stück möglich. Daran gibt es wirklich nichts mehr zu meckern, 90 % aller Autokäufer sollten damit problemlos zurechtkommen.
Die Ladeinfrastruktur in Benelux und GB hat mich (gerade mit Blick auf meine durchwachsenen Erfahrungen in Italien, treue Leser erinnern sich) positiv überrascht: Es gibt sehr viele HPCs zur Auswahl und selbst das kleine Kaff Linlithgow (in dem wir übernachtet haben, weil Glasgow selbst natürlich zu 110 % gebucht war) hatte mehrere AC-Ladestationen zur Auswahl. Für mehr Details zur britischen Ladeinfrastruktur möchte ich meinen Beitrag beim ACE empfehlen, der erscheint etwas später, dann füge ich den Link hier ein.
Jetzt bleibt zu hoffen, dass sich auf dieser Klimakonferenz (die im Deutschlandfunk neulich sehr treffend als „Weltlippenbekenntniskonferenz“ betitelt wurde) tatsächlich etwas ändern wird und wirksame Maßnahmen im Kampf gegen den Klimawandel beschließt. Glasgow war unmittelbar vor Beginn der COP26 überflutet, die Auswirkungen des menschlichen CO2-Ausstoßes werden jeden Tag spürbarer. Ich hoffe, dass wir mit dieser Reise unseren eigenen, kleinen Teil dazu beitragen konnten, dass die Regierungschefs auf dieser Konferenz der Elektromobilität endlich die Rolle zugestehen, die sie haben muss. Wir haben gezeigt: Die Modelle sind da, die Ladeinfrastruktur ist da, es funktioniert einfach. Elektromobilität muss ein elementarer Baustein bei der Bekämpfung der globalen Erwärmung werden, weil sie einerseits die Emissionen des Verkehrssektors drastisch senken kann und andererseits durch Nutzung der Batterien als Netzspeicher helfen kann, den Anteil der Erneuerbaren Energien im Strommix stark zu erhöhen.
Zum Abschluss möchte ich auch auf diesem Weg noch einmal Danke sagen bei allen Unterstützern, ohne die diese Reise nicht möglich gewesen wäre: Volkswagen hat uns das Auto zur Verfügung gestellt, die EWS Schönau half als Sponsor und mit dem Blog (Leseempfehlung, da berichtet nämlich auch das Team #railtotheCOP über ihre vollelektrische Anreise nach Glasgow per Zug), die zahlreichen Elektrofahrer-Verbände haben den immensen Orga-Aufwand übernommen (special thanks to Bridget and Aseer for your efforts). Am wichtigsten waren aber die vielen Fahrerinnen und Fahrer aus diversen europäischen Ländern: Die Gespräche bei unseren Zwischenstopps haben die Ladezeit wie im Flug vergehen lassen. Last but not least haben mir meine Mitfahrer Johannes Schleicher und Felix Hamer geholfen, wir waren ein tolles Team. Hope to see you all again very soon!
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Philipp (Sonntag, 09 Januar 2022 15:29)
Schöner Bericht! Die genaue Route hätte mich noch interessiert, gibt es die irgendwo zum ansehen?
Wir planen unseren Sommerurlaub auch in Schottland und die Familie soll nicht im Flieger platznehmen sondern mit dem Model 3 hochschippern.
Robin Engelhardt (Sonntag, 09 Januar 2022 23:28)
Hallo Philipp,
Felix hat bei Polarsteps alles detailliert aufgezeichnet: https://www.polarsteps.com/electricfelix/4411847-the-road-to-glasgow
Du wirst mit dem Model 3 keinerlei Probleme haben!
Achim (Freitag, 01 Juli 2022 16:15)
Sehr schöner Bericht. Nur das Problem, welches ich mit dem E-Auto habe, ist halt die Reichweite. Von mir aus in Luxemburg nach Glasgow sind es 1.300 km. Die fahre ich mit meinem CamperVan an einem Tag und benötige ein Mal 10 Minuten zum Tanken. Sobald es Batterien gibt, die entweder mindestens 1.000 km reichen oder 500 km und dann in 10 Minuten geladen sind, bin ich sofort dabei.