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Delegationsreise mit dem Bundesverband eMobilität zur Automechanika Shanghai 2017

Seit geraumer Zeit stelle ich mir die Frage, wie es nach der Schule für mich beruflich weitergehen soll. Ich beschäftige mich viel mit der Elektromobilität und insbesondere deren Kosten sowie der Verknüpfung von Erneuerbaren Energien und Elektroautos.

 

Nach einem Praktikum bei einem deutschen Autobauer und einem Vortrag bei einem großen Automobilzulieferer ist für mich ziemlich sicher, dass ich beruflich irgendwo in der Automotive-Branche landen möchte. Aber was genau will ich arbeiten und wie möchte ich da hinkommen? Um auf diesem Weg etwas weiterzukommen, nahm ich die Einladung des Bundesverbands eMobilität e.V. (BEM), die diesjährige Delegationsreise zur Automechanika in Shanghai nach China zu begleiten, dankbar an.

 

Seit ziemlich genau einem Jahr bin ich das jüngste Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Bundesverbandes eMobilität, für den ich unter anderem die Conference on Future Automotive Technology (CoFAT) 2017 in München besucht habe. Außerdem durfte ich bei diversen Pressemitteilungen zu verschiedenen aktuellen Entwicklung im Bereich der eMobilität mitwirken und habe während dieser Arbeit immer nur positive Erfahrungen gemacht – auch deshalb habe ich mich sehr auf diese Reise gefreut.

 

Nach wochenlangen Vorbereitungen traf sich schließlich am 27.11.2017 zum siebten Mal eine Delegation des BEM am Flughafen Frankfurt, um elf Stunden später (am 28.11.) endlich in Shanghai anzukommen.

 

Noch am selben Tag besuchten wir den BEM-China-Repräsentanten Dr. Zhiming Huang in der chinesischen Repräsentanz des BEM. Dort erfuhren wir in einer tollen Präsentation, wie breit Dr. Huangs Unternehmen Shanghai Zhida Tech in Sachen Elektromobilität bereits aufgestellt ist und wie rasant sich die eMobilität in China entwickelt.

 

Der 29.11. war der erste Messetag der diesjährigen Automechanika, während der Fahrt vom Hotel zur Messe zeigte sich uns eines von China größten Problemen in seiner ganzen Pracht: Der Stau. Für ein paar Kilometer brauchten wir eine halbe Stunde, sodass wir schlussendlich mitten auf der Straße ausgestiegen sind und zu Fuß schneller waren. Wohlgemerkt reden wir hier nicht von einer Landstraße, die im Berufsverkehr ein bisschen Ampelrückstau hat, sondern über eine zweistöckige Autobahn mit vier Spuren auf jedem Stockwerk (eine sogenannte elevated road = angehobene Straße). Dass der Verkehr auf diesen acht Spuren zum Erliegen kommt macht deutlich, wie dumm der motorisierte Individualverkehr in seiner aktuellen Form ist: Jeder sitzt alleine in seinem eigenen Auto und ein Mensch, der in einer U-Bahn locker mit einem halben Quadratmeter Fläche auskommt, verbraucht auf diese Art und Weise acht bis zehn Quadratmeter wertvolle innerstädtische Flächen. Noch dazu fahren viele in ähnliche Richtungen oder parallel zu Routen der öffentlichen Verkehrsträger, so dass ein Umstieg problemlos möglich wäre.

Diese Mobilität kostet nicht nur Zeit und Geld, sondern langfristig auch die Zukunft unseres Planeten – das muss dringend aufhören.

 

Das Schöne an Shanghai (bzw. in ganz China) ist, dass nicht (wie z.B. in Stuttgart) nur geredet wird, was man denn alles tun könnte – man macht es einfach. Beispiel: Viele Chinesen fahren Roller – sei es, weil sie sich kein Auto leisten können, oder weil man sich in den Straßen Shanghais mit einem Roller schlicht schneller fortbewegen kann. Diese Roller fuhren bis vor wenigen Jahren ausnahmslos mit Zweitaktmotoren, die neben der Fortbewegung des Rollers eine ganze Reihe von Nebenwirkungen haben: Sie sind laut, sie verpesten die Luft mit ihren Abgasen (Gestank ist schrecklich aber harmlos im Vergleich zur giftigen Wirkung der Abgase) und sie sind wartungsintensiv.

 

Elektroroller haben alle diese Probleme nicht – trotzdem wurden sie kaum gekauft. Seit die Regierung die Neuanschaffung von Rollern mit Zweitaktmotoren kurzerhand verboten hat, hat sich das schlagartig geändert:

Ich habe in einem Meer aus Elektrorollern nur noch vereinzelt Zweitakter gesehen – das ist ein riesiger Fortschritt innerhalb sehr kurzer Zeit. Aus Deutschland habe ich oft das Argument gehört, China könne solche Verbote ja auch einfach machen, es sei schließlich ein anderes Regime und es stimmt ja auch: In Deutschland kann man solche Verbote nicht mal eben durchdrücken – aber  warum eigentlich nicht? Natürlich herrscht dadurch auch ein gewisser Zwang – andererseits muss man wissen, dass zwischen elektrischen und Zweitaktrollern mittlerweile Kostenparität herrscht; dem Käufer eines neuen Rollers entsteht also kein finanzieller Schaden, wenn er statt des Zweitaktrollers einen elektrischen kaufen muss.

 

Nachdem wir also am Stau vorbeigelaufen sind, offenbarte sich das nächste Problem Chinas; wieder ein Größenproblem: Auf dem Vorplatz der Automechanika standen tausende Menschen, die auf die Messe wollten und ohne massiven Ellenbogeneinsatz hat man keine Chance, auch nur in die Nähe des Eingangs zu kommen. Da freut man sich als Europäer, dass daheim alles beschaulicher ist – und aktuell vor Ort über eine VIP-Zugangskarte, die uns schnell Einlass an einem anderen Eingang verschafft hat.

 

Zunächst haben wir den Stand des BEM besichtigt und uns mit einer Delegation der CECC (Chinese Electronics Chamber of Commerce) sowie den chinesischen Vertretern des BEM getroffen, dann wurden in der Phoenix VIP Lounge feierliche Eröffnungsreden zur Automechanika 2017 gehalten und anschließend konnten wir uns bei einem ausführlichen Messerundgang ein Bild von Chinas Automobilbranche machen.

 

Nach der Messe ging es Abends zum Welcome Dinner anlässlich der Eröffnung der Automechanika 2017 in ein Hotel – auch hier zeigte sich mal wieder, dass in China eben alles etwas größer ist: Es kamen über 900 geladene Gäste zu einem gigantischen Showprogramm mit vielen Reden, Tanz- und Musikvorstellungen, das von einem leckeren Abendessen umrahmt wurde.

Freilich gibt es auch in Deutschland große Feiern – 900 Leute für die Eröffnung einer Fachmesse, noch dazu mit so grandioser Unterhaltung, sind in Deutschland jedoch deutlich seltener.

 

Am nächsten Tag durften Christian Heep und Andreas Serra einen Vortrag unter dem Titel: "Electromobility knows no borders halten". Nach der anschließenden Diskussionsrunde hatten wir Zeit, einen kleinen Eindruck von Shanghai als Stadt zu bekommen. So statteten wir dem berühmten Bund und der Nanjing Road einen Besuch ab und fuhren auf den zweithöchsten Turm der Welt, den Shanghai-Tower. Dort oben ist uns abermals ein Problem vor Augen geführt worden, dass in China sehr viel größer ist als in Deutschland: Die Luftverschmutzung. Einen blauen Horizont (wie auf dem Stuttgarter Fernsehturm) kann man nicht erkennen – die umliegenden Stadtteile schwimmen in einer grauen Suppe aus normalem Nebel und Feinstaub. Sehr schön fasst das der Ausdruck „smog or fog?“ (= Smog (Feinstaub) oder Nebel) zusammen: Es ist zweifelsohne auch Nebel dabei, die Undurchsichtigkeit und der schlechte Geruch in Shanghais Straßen sprechen aber eindeutig für Smog.

 

Am vorletzten Tag verließen wir das Messegelände und fuhren zur „Shanghai EV Zone“, einem Campus, auf dem jeder mit Führerschein Elektroautos testen kann.

Da die große Mehrheit der chinesischen Autobauer im Moment voll und ganz mit der Belieferung Ihres Heimatmarktes ausgelastet ist, hört man in Europa kaum von Marken wie BYD, Roewe, Zotye, Velite, JAC oder Chery – umso mehr hat es mich gefreut, dass wir die Gelegenheit hatten, uns ein Bild vom aktuellen Stand der chinesischen Autoindustrie zu machen.

Ich persönlich finde diesen Stand erschreckend - positiv und negativ. Einerseits ist es beeindruckend, dass Firmen, die erst seit wenigen Jahren existieren, überhaupt schon Serienmodelle anbieten – dann aber noch in einer guten Qualität, ansprechendem Design und zu einem vertretbaren Preis. Chapeau!

Andererseits zeigt mir das, wie verzerrt unsere Selbstwahrnehmung in Deutschland ist: Unsere Autoindustrie wird immer als die beste der Welt dargestellt und in China muss man feststellen, dass deren Autos fast genauso gut sind wie unsere.

 

Natürlich darf an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass über langjährige Joint-Ventures deutscher und chinesischer Unternehmen viel Know-How nach China gegangen ist und die deutsche Autoindustrie sehr davon profitiert hat. Wenn die Chinesen aber eines Tages erkennen sollten, dass sie auf deutsche Hilfe nicht mehr angewiesen sind und die Joint Ventures beenden, den Weltmarkt mit Elektroautos fluten, die qualitativ hochwertig und dennoch günstiger als Verbrenner) sind, hat unsere heimische Autoindustrie einen sehr harten Konkurrenten – Fahrverbote würden diesen Trend zulasten der deutschen Industrie sogar unterstützen.

 

Ich nehme mir nicht heraus, zu sagen, dass die deutsche Automobilindustrie auf diese Gefahr schlecht vorbereitet sei. Gleichwohl muss ich feststellen, dass Tesla seit 2012 Elektroautos mit 500 km Normreichweite in Serie baut und von manchem deutschen Autobauer auch 2017 höchstens eine Hand voll Prototypen unterwegs sind und kein deutsches eAuto auf dem Niveau eines Tesla Model S kaufbar ist – die Schlüsse darf jeder Leser selbst ziehen.

 

Wirklich Sinn machen Elektroautos natürlich nur mit regenerativem Strom – dessen sind sich die Chinesen auch bewusst, deshalb treiben sie die Erneuerbaren Energien stark voran: China baut jedes Jahr neue Solaranlagen mit 0,9% der im gesamten Land installierten Kraftwerksleistung (1510 GW, mehr dazu hier), in Deutschland werden jährlich Solaranlagen mit einer Leistung von 0,8% der gesamten installierten Kraftwerksleistung (183,6 GW, Quelle) zugebaut. Prozentual sind beide Länder also gleich auf, mit Blick auf die absoluten Zahlen schneidet China jedoch besser ab:

Schon 2015 stand China mit 43 GW installierter Leistung an der Spitze der weltweiten Stromerzeugung mit Photovoltaik – und jedes Jahr kommen weitere 15 GW hinzu (zum Vergleich: In Deutschland sind 30 GW installiert und der Zubau betrug im Jahr 2016 1,5 GW).

 

Im Rückblick auf diese Reise kann ich sagen, dass mein Eindruck von China (und von Shanghai ganz besonders) sehr von einer extremen Gegensätzlichkeit und schierer Größe geprägt ist. Die Gegensätze zwischen Wolkenkratzern aus Glas und traditionellen chinesischen Häusern sind einmalig, arm und reich leben auf engstem Raum zusammen, und neben den teuren Markengeschäften in der Nanjing Road gibt es überall „Fakemarkets“, die ähnliche Ware für einen Bruchteil des Preises der Markenwaren verkaufen.

 

Die Bevölkerung von mehr als einer Milliarde, die bei uns immer nur als kaum vorstellbare Zahl herumgeistert, wird anhand der Luftverschmutzung, Verkehrsinfarkte und Warteschlangen an jeder Ecke ganz real erlebbar.

 

Ein wichtiger Teil der chinesischen Mentalität ist eine gewisses „nicht denken, sondern handeln“-Motto: Es gibt keine parlamentarische Debatte, ob man Zweitaktroller verbieten sollte – man macht es einfach.  Die Frage, ob Quotenregelungen für eAutos der richtige Weg sind, wird nicht lange diskutiert – die Quote wird eingeführt, Punkt.

 

Diese Mentalität birgt sicher das Risiko von Fehlentscheidungen und ist nicht der beste Weg – bis jetzt sehe ich aber im Bereich der Verkehrspolitik keine Fehlentscheidungen, sondern viele sinnvolle Maßnahmen (z.B. Lotterie für die Vergabe von Neuzulassungen, beim Verbrenner Chance von 10%, beim Elektroauto 100%), die uns auch in Deutschland guttun würden.

 

Der weitere Austausch zwischen Europa (insbesondere Deutschland) und China wird in den kommenden Jahren noch wichtiger werden, einerseits weil China und Deutschland eine große Automobilindustrie und große Absatzmärkte haben, die für beide Länder noch viel Potential bieten und andererseits, weil beide Länder dadurch die optimalen Voraussetzungen haben, um gemeinsam den Wandel zu einer neuen Mobilität mit nachhaltiger Energieversorgung voranzutreiben.

 

Diese Reise hat mir gezeigt, dass alle Beteiligten voneinander lernen und profitieren können.

Ich selbst möchte aktiv daran mitwirken und nach dem Abitur auf jeden Fall wieder nach China kommen – in welcher Funktion ich das mache, wird sich zeigen.

 

Abschließend möchte ich mich nochmals sehr herzlich bei BEM-Vize-Präsident Christian Heep für die Organisation und die Einladung zu dieser tollen Reise bedanken. Auch die weiteren Delegationsteilnehmer haben diese Reise für mich unvergesslich gemacht – hoffentlich fliegt diese tolle Truppe nächstes Jahr wieder nach Shanghai.

 

Last but not least möchte ich insbesondere Herrn Dr. Stadtfeld, dem Schulleiter des Gymnasiums in der Glemsaue Ditzingen danken, dass er mich für diese Reise beurlaubt hat, denn so etwas ist bei weitem keine Selbstverständlichkeit.

 

 

Weiterführende Links:

 

Bundesverband eMobilität: http://www.bem-ev.de/

 

Shanghai Zhida Tech (Chinesisch): http://www.shzhida.com/home.html

 

Automechanika Shanghai:

http://automechanika-shanghai.hk.messefrankfurt.com/shanghai/en/visitors/welcome.html

 

Zahlen zum Photovoltaik-Ausbau in China:

http://www.energieagentur.nrw/international/laenderinformationen/volksrepublik-china

 

EV Zone Shanghai: http://www.evzonechina.com/en/about/

 

Artikel zu Elektrorollern in China:

https://www.welt.de/wirtschaft/article131363185/Ploetzlich-ist-China-Vorreiter-beim-Umweltschutz.html

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